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Klaus Woltron

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Menschen wollt ihr ewig leben?

Es beginnt langsam und unmerklich ....

Klaus Woltron

.........Zuerst vermutet man, es sei der Ischias, wenn beim Radfahren die Hüfte schmerzt. Der Physiotherapeut hilft, aber nicht genug. Wenn’s nicht und nicht aufhören will, setzt man seinen Corpus den Röntgenstrahlen aus, und — siehe da! Das Hüftgelenk ist defekt. Der Automechaniker spräche von einem „Kolbenreiber“. Wie beim immer mehr in Ungnade fallenden Verbrenner empfiehlt sich sodann der Ersatz der beschädigten Originalteile, diesfalls durch eine Hüft-Endoprothese, ein Mordstrumm aus Titan und High-Tech-Kunststoffen. Das hält bis zu fünfundzwanzig Jahre. Im Verlauf eines Vierteljahrhunderts aber wird man längst gelernt haben, neue Knorpelzellen zu züchten und den Verreiber sanft von innen zu kurieren. Dieses Kunststück und vieles andere wird man den mRNA — Heilmitteln zu verdanken haben. BioNtech-Gründer Ugur Sahin: „In 15 Jahren wird ein Drittel aller Arzneimittel auf der mRNA-Technik basieren.“ Wie funktioniert das?

Die Erbsubstanz DNS (Desoxyribonucleinsäure, engl. DNA) im Zellkern enthält Bauanleitungen für neue baugleiche Eiweißstoffe. Damit eine DNA-Anleitung aktiv werden kann, muss zunächst eine „Blaupause“ erstellt werden: die mRNA. Wie ein Bote (englisch: Messenger) transportiert sie die abgepauste Bauanleitung zur Baustelle der Zelle, wo die Proteine zusammengebaut werden- wo neues Eiweiß zum Weiterwachsen erzeugt wird. Daher die Abkürzung mRNA: messenger-RNA (RiboNucleinAcid). Die mRNA-Moleküle gehen, wie zerfledderte Baustellenzeichnungen auch, schnell kaputt- erst recht, wenn man den Zellkern „überlisten“ will und sie durch eine Injektion in den Körper gelangen. In der Evolution hat das Immunsystem nämlich gelernt, dass fremde mRNA zu krankmachenden Mikroorganismen gehören kann. Aus diesem Grund bekämpft es sie umgehend und zerlegt sie in ihre Bestandteile, wird dabei oft auch immun gegen nächste Angriffe, lernt. Für einen therapeutischen Ansatz erschien die mRNA deshalb lange Zeit ungeeignet. In den letzten Jahre gelang es, diese Hürden zu überwinden und bestimmte mRNA in die Zelle zu schmuggeln, ohne dass sie zerstört wurden. Diesen Kunststücken verdanken wir u.a. den COVID-Impfstoff von BioNtech–Pfizer.

Solcherart betrachtet, wurde ich zu früh geboren. Ich meine nicht die üblichen neun Monate, die ich pünktlich, während meine Mutter auf der Flucht vor den Russen unterwegs war, abschloss. Das Geburtsdatum selbst lag zu früh. Liest man, welche Fortschritte die Gentechnik in den letzten Jahren machte, und bedenkt, wie viele Krankheiten bald nicht mehr unheilbar sein werden, wünschte man sich, trotz aller Fortschrittsskepsis, die Gnade einer späteren Geburt. Das insbesondere dann, wenn man seine Tage hinkend zubringt. Eine eventuelle üble Nachricht vom Internisten wird sodann hoffentlich auch an Schrecken verloren haben.

„Homo Deus“, Gottmensch, betitelte Yuval Noah Harari seine Gedanken über unsere Zukunft. Er nimmt an, das nächste Projekt der Menschheit werde der Griff nach der Unsterblichkeit sein. Dank Fortschritten in der Biotechnologie und künstlicher Intelligenz könnte der Homo sapiens zum gottähnlichen Homo Deus avancieren. Einer, der es wissen sollte, widerspricht: Sir Paul Nurse, britischer Genetiker und Biochemiker (Nobelpreis 2001). Niemand könne ewig leben, betont der Gründungsdirektor des Francis-Crick-Institute in London. „Die Existenz nützt sich ab und die Konsequenz ist, dass wir nicht ewig leben. Es wäre auch nicht sinnvoll, denn es hätte ernsthafte Konsequenzen, wenn wir die Bevölkerung nicht durch Nachwuchs ersetzen würden. Die Perspektive Tod mag uns zwar nicht glücklich machen, aber er ist vermutlich die beste Lösung für die Menschheit.“

Soweit die Extreme. Was aber erwartet uns in den nächsten Jahren? Im Gegensatz zu Schwärmern vom ewigen Leben glaube ich BioNtech-Gründer Ugur Sahin. Er hat mit seiner Firma den erfolgreichsten Anti-COVID-Impfstoff entwickelt, hunderttausenden, wenn nicht Millionen, Menschen das Leben erhalten und ist damit zum Milliardär geworden. Die Zukunftshoffnungen der Forschenden sind kühn. Man könnte Zellen dazu programmieren, heilsame Proteine herzustellen: Krebsmittel, Impfstoffe, Wachstumsfaktoren, künstliche Gewebe. Es würde möglich, den menschlichen Körper individuell gegen Tumorzellen zu immunisieren. Umgekehrt versucht man, ein allzu aufgeregtes Immunsystem zu beruhigen. Davon profitierten Menschen mit Autoimmunkrankheiten: Allergien, Rheumatismus, Schuppenflechte, Colitis, Multiple Sklerose &Co. Und last, but not least, wird auch die Endoplastik im Hüftgelenk der Hatschenden überflüssig: Chondrozyten sind rundliche Zellen in den Gelenken, aus denen das Knorpelgewebe besteht. Wenn diese ihre Aufgabe nicht mehr ausreichend erledigen, entsteht Arthrose: schmerzhaft und unheilbar. Nur das starke Metallteil kann derzeit helfen. Ein mRNA-Medikament sei wohl die einzige Chance auf Hilfe von innen, sagt Keiji Itaka vom Institute of Biomaterials and Bioengineering der Tokyo Medical and Dental University.

Ich bin sicher, dass sich die erfahrenen Orthopädie-Profis auf der steirischen Stolzalpe in der Steiermark mit diesem Herrn längst ins Einvernehmen gesetzt haben. Immerhin sind sie Spitze in ihrer Kunst. Ich weiß, wovon ich rede.

Kommentare
Lucas Lamezan am 11.05.2024 um 17:58 Uhr:

Ich hab eigentlich nur vor drei Dingen Angst: 1) Folter, 2) Justizirrtum und 3) KI. Ewig leben (zu können), eine furchtbare Vorstellung. In den Worten von Steve Jobs:

"Remembering that I’ll be dead soon is the most important tool I’ve ever encountered to help me make the big choices in life. Because almost everything — all external expectations, all pride, all fear of embarrassment or failure – these things just fall away in the face of death, leaving only what is truly important. Remembering that you are going to die is the best way I know to avoid the trap of thinking you have something to lose. You are already naked. There is no reason not to follow your heart.

About a year ago I was diagnosed with cancer. I had a scan at 7:30 in the morning, and it clearly showed a tumor on my pancreas. I didn’t even know what a pancreas was. The doctors told me this was almost certainly a type of cancer that is incurable, and that I should expect to live no longer than three to six months. My doctor advised me to go home and get my affairs in order, which is doctor’s code for prepare to die. It means to try to tell your kids everything you thought you’d have the next 10 years to tell them in just a few months. It means to make sure everything is buttoned up so that it will be as easy as possible for your family. It means to say your goodbyes.

I lived with that diagnosis all day. Later that evening I had a biopsy, where they stuck an endoscope down my throat, through my stomach and into my intestines, put a needle into my pancreas and got a few cells from the tumor. I was sedated, but my wife, who was there, told me that when they viewed the cells under a microscope the doctors started crying because it turned out to be a very rare form of pancreatic cancer that is curable with surgery. I had the surgery and I’m fine now.

This was the closest I’ve been to facing death, and I hope it’s the closest I get for a few more decades. Having lived through it, I can now say this to you with a bit more certainty than when death was a useful but purely intellectual concept:

No one wants to die. Even people who want to go to heaven don’t want to die to get there. And yet death is the destination we all share. No one has ever escaped it. And that is as it should be, because Death is very likely the single best invention of Life. It is Life’s change agent. It clears out the old to make way for the new. Right now the new is you, but someday not too long from now, you will gradually become the old and be cleared away. Sorry to be so dramatic, but it is quite true."