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Klaus Woltron

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Wie Riesen tanzen lernen

Vor etwa 150 Millionen Jahren starben die Saurier aus …

Klaus Woltron

............eine der vielen Theorien führt das auch auf ihre mangelnde Reaktionsgeschwindigkeit zurück.  Bedenkt man, dass die Viecher bis zu zwanzig Meter lang waren, und Reize in ihrem Nervensystem mit etwa zehn Sekundenmetern dahin-schlichen, so ist es nicht verwunderlich, dass sie recht schwerfällig sein mussten. Der Biss eines Feindes in den Schwanz wurde erst nach etwa zwei Sekunden in ihrem Hirn registriert, weitere zwei Sekunden dauerte es, bis der Befehl zur Reaktion wiederum beim Schwanz angelangt war: viel zu spät, um ihn einem flinken Feind rechtzeitig zu entziehen. Der Organismus versuchte, durch Bildung von dezentralen Verarbeitungsstellen im Rückenmark ("sub-stations") die Reaktionszeiten drastisch zu verkürzen. Es hat aber offensichtlich nichts mehr genützt. Die Riesen sind skelettiert im Naturhistorischen Museum und als Computeranimation in Steven Spielbergs Kinohit zu besichtigen. Es ist nicht zu leugnen, dass ganz offensichtlich manche Firmen, Ämter, politische Parteien und auch Staaten vergleichbare Strukturen und Schicksale haben:

• riesengroß
• zentralistisch
• langsam
• und dumm.

Sie lernen nicht. Man wird ihnen nichts mehr abkaufen. Man wird sie nicht mehr wählen. Sie werden aussterben.


                                                             Transformation

Viele jedoch schaffen die Änderung. Sie gliedern sich im Inneren auf. Sie machen Platz für unternehmerische Typen an der Spitze von Tochtergesellschaften, Profit- Centers oder regionalen Einheiten.

Chefs eines neuen Typs definieren und pflegen Leitlinien, die ihren Mitarbeitern einerseits Halt und Orientierung, andererseits Freiraum zur kreativen und sozialen Entfaltung geben. Sie sind nicht mehr Diktatoren, sondern "Di- rektoren" im besten lateinischen Wortsinn: Richtung wird gegeben, nicht Rezept. Der Saurier wird zu einem Gazellenschwarm aufgegliedert.

Dieser Flexibilisierungsprozeß dauert lange. Er folgt einer immer wiederkehrenden Gesetzmäßigkeit. Schritt auf Schritt muss in der richtigen Reihenfolge gesetzt werden. Beginnend mit einer Neuaufnahme der Potentiale über eine organische Dezentralisation, die Identifikation verborgener Talente spannt sich der Bogen bis hin zur Entwicklung neuer Identität, von Projektstrukturen und stetiger Verbesserung der Professionalität. Dass dem Komplex Kultur, Information und Systeme, als dem Gefühls- und Nervensystem der Organisation, ganz wesentliche Bedeutung zukommt, ist evident.

                                                                     Die Lehmschicht

Das Wissen um den Handlungsbedarf, die Bereitschaft zur Änderung ist in Organisationen sehr un-gleichmäßig verteilt. An der Spitze, wo ungeduldige Aufsichtsräte, Vorstände, Parteichefs oder Minister nerven, und der Basis, die von unzufriedenen Kunden, Partnern und Bürgern aufgewühlt ist, will man handeln. In der Mitte der Pyramide jedoch, dominiert von satten Verwaltern, Stabshengsten und nicht ergebnisabhängigen Beamten, herrscht eine andere Befindlichkeit. „Nur keine Wellen schlagen“ ist die Devise. Änderung bedeutet Gefahr für Karriere und Position, für die mühsam errungene und verteidigte Daseinsnische im fetten Innenleben der Struktur.

Wer eine Organisation aufwecken will, muss die Lehmschicht mit Revolutionären durchsetzen, von oben nach unten durchbohren und ihre Macht brechen. Die meisten Anführer scheuen vor diesem scheinbar lebensgefährlichen Schritt zurück. Allzu groß ist die Furcht vor dem an die Wand gemalten Teufel des Zusammenbruchs der EDV, der Kostenrechnung, der Rache der Mächtigen.

Eine Organisation sollte immer ein Abbild ihrer Aufgabe sein. Ihre Dimensionalität muss den Dimensionen ihrer Zwecke entsprechen. Wie das Auge auf einen Zweck hin „konstruiert“ wurde- ein Bild der Außenwelt auf der Netzhaut zu erzeugen, in Informationen umzuwandeln und diese an das Gehirn weiterzuleiten- sollten die diversen Strukturen in einer menschlichen Organisation indirekt ihre Aufgabe abbilden. Tun sie das nicht, so können sie niemals effizient sein.

                                                     Der Dimensionskonflikt

Genau dort aber liegt das Problem, das so schwer lösbar ist. Die Vielschichtigkeit der Aufgaben ist enorm- Markt, Umwelt, Technik, Produktion, Werbung, Ästhetik, Finanzen etc.- während die Gruppenstruktur des Menschen zweidimensional ist. Wir sind von der Natur dazu konditioniert, in einer Horde von etwa 15  Individuen zu jagen, einem Anführer folgend, der wiederum andere Unterhäuptlinge befehligt. Insbesondere Männer in ihrer Quadratisierungslust tun das. Nach diesem Muster haben sich Armeen, Behörden und Firmen organisiert- rechtwinkelig, zweidimensional. Bewältigen aber will man damit etwas Buntes, Vieldimensionales. So ereignet sich immer wieder das drollige Spiel des Kasterl- Hin- und- her-Schiebens, der Kompetenzverlagerung, der Zuordnungsstreitereien. Natürlich ist es ein Loch- auf- Loch zu- Spiel, denn die grundlegende Problemstellung: der Dimensionskonflikt, wird dadurch nicht gelöst.

                                                                            Wiedergeburt der Horde

Lean Management heißt nun das Zauberwort. Autonome Projektgruppen, Task forces, profit Centers, time based management, total quality management, und wie die Modewörter alle lauten- gemeint ist immer dasselbe: Lockere Hierarchie- arme Strukturierung von flachen, projektzentrierten Zusammenarbeitsformen. Der Manager, Politiker, Parteichef  wird zum Teammitglied, er ist Kreuzungspunkt von Matrixstrukturen, oft Diener mehrere Herren, Moderator. Er verliert verliehene Macht und muss sie sich mühsam, in engstem Kontakt zu seinen Mitarbeitern, täglich neu erkämpfen.

Wie befindet er sich dabei?

Das ist sehr stark abhängig von seiner Grundkonstitution. Teamfähige, kooperations- gewohnte Charaktere lieben die spontane Auseinandersetzung und das selbständige kreative Chaos in kleinen Gruppen. Sie hassen aber die Einmischung von Koordinatoren und Genehmigungsinstanzen. Sie werden durch die Dezentralisation befreit und aktiviert, nach einer gewissen Zeit aber von den verborgenen, jedoch unerbittlichen Strukturen der Großkonzerne oder alten Hierarchien doch wieder eingeholt und ernüchtert. Es ist nicht ihre Sache, zugleich dem Regionalchef und dem internationalen Segmentkoordinator, dem Minister und Arbeitsgruppen — Koordinator zugleich zu berichten und dazu noch „Freier Unternehmer“ mit allen Risiken zu spielen. Sie verlassen das multidimensionale Preßwerk oder den politischen Apparat, nachdem sie sich satt gearbeitet haben.

Angepasste Gestalten wiederum lieben die Subordination, fühlen sich aber im stetigen Wettbewerb der kleinen Gruppe nicht wohl, üben ihre gewohnte verliehene Macht aus und ersticken die neuen Freiheiten durch kleinliche Bremsmanöver, Bevormundung und Berufung auf anonyme Zentralgewalten.

Wozu dann die Dezentralisation? Wozu die Aufspaltung?

                                                              Permanente Revolution

Man muss sich wohl damit abfinden, dass alle Restrukturierungen, organisatorischen Modernisierungen und Abschlankungen Übergangszustände zum nächsten Aktivierungsschritt sind. Nach ein paar Jahren des Kampfes  hat es der Kreative satt, in sich verfestigenden Strukturen zu arbeiten und will Neues. Und der Angepasste beginnt schon am Tag nach der Erneuerung, verstohlen an seiner alten Lieblingsheimat zu bauen- Pyramiden, versteckte Hierarchien, Stabsstellen, Machtgebilde um der puren Macht willen. Und dann wird’s wieder teuer.

Es bleibt daher nichts Anderes übrig, als die Revolution zu perpetuieren. Ununterbrochen muss man daran arbeiten, die aufschießenden kleinen Diadochenreiche zu zerstören, abgenützte Kreative, die die Selbständigkeit und neue Herausforderungen suchen, durch frisches Blut zu ersetzen, neue Ziele für neue Motivationsschübe zu erfinden. Die Hoffnung, sich irgendeinmal zurücklehnen und sagen zu können: „Jetzt ist der Bau fertig!“ ist trügerisch. Will man eine schlanke, kreative, wettbewerbsfähige Organisation, muss man analog zu Michael Phelps oder Jennifer Aniston agieren : Trainieren, trainieren, trainieren.

Sonst, eh man sich’s versieht, steht man da wie einst der alte Marlon Brando: fett, mit einer großen Vergangenheit. Das beste Beispiel für ein organisatorisches Totalversagen ist die Europäische Union, die jetzt, ausgerechnet, in der Zentralisierung ihr Heil sucht. Ein totaler Sieg der Gestrigen. 

Kommentare
Klaus G. am 23.04.2019 um 00:24 Uhr:

...und wir können nichtmal am 26.Mai (Europawahl) daran was ändern.