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Klaus Woltron

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Wasserstoffwirtschaft

Akku oder Brennstoffzelle: Wer wird das Rennen machen?

Klaus Woltron


Emissionsfreies Fahren: Akku oder Wasserstoff?

Erfindungsreichtum hat es dem Homo sapiens ermöglicht, sich die Energie des fließenden Wassers und verbrenn-barer Stoffe nutzbar zu machen. Damit hat er seine eigenen Kräfte millionenfach ausgedehnt und sich weit über das Maß, das ihm gemäß seiner angeborenen Leistungsfähigkeit zugekommen wäre, vermehrt. Fatalerweise reichen seine Potenziale nicht aus, die schädlichen Auswirkungen dieser Entdeckungen zu bewältigen. Ein schla-gendes Beispiel liefern die Nebenwirkungen der Energienutzung durch die Beeinflussung der Atmosphäre: Ein Viertel davon liefert das Verkehrswesen. Es ist daher verständlich, dass große Anstrengungen unternommen werden, diese Schäden zu begrenzen. Ein Allheilmittel glaubt man dabei in der Elektromobilität gefunden zu ha-ben. Was steckt hinter diesem weltweiten Anlauf? Wird er zum angestrebten Ziel führen oder beschreitet man einen milliardenschweren Irrweg? Gibt es Alternativen?

Diesel gegen Hybrid — ein Glaubenskrieg

Ein 3 — Liter — Coupé eines deutschen Herstellers hat 258 Pferdestärken und konsumiert im Schnitt 7,8 l Die-sel/100 km bei zügiger Fahrweise. Eineinhalb Liter mehr schlürfte der 1200er VW seligen Angedenkens 1970, um karge 34 PS auf den Boden zu bringen. Der große Rest verließ den Boxermotor in Form puren Gestanks. Der Hybrid — Benziner aus Japan (222 PS Systemleistung) wiederum schlabbert bei eher sanfter Nutzung 8,5 Liter — um 4,1 l mehr als vom Hersteller per Normverbrauch angegeben (Quelle: persönliche Information mehrjähriger Nutzer). Insgesamt emittiert das tugendhafte Gefährt nicht weniger Schadgase als der kräftigere und sparsamere Diesel. Der Nutzer des Hybrid — Fahrzeugs genießt jedoch einen enormen Vorteil gegenüber jenem eines Verbrenners: Er steht in klimabewussten Makellosigkeit vor der ehrfürchtigen Öffentlichkeit. Ich hingegen bekenne meine altväterische Liebe zu Kolben, Nockenwellen, Pleuelstangen und einem sonoren Auspuffgeräuschs. Apropos Auspuff: Würde man anstatt des Hybrids (Kombination aus E- und konventionellem Antrieb) ein rassereines E- Auto fahren, dessen Energie ausschließlich aus einem Li — Ionen — Akku stammt, fielen Auspuff, Kühler und Motorgeräusch weg. Der Durst des Gefährts würde dann aus Kohle- Öl- und Atomkraftwerken, regenerativen Energiequellen und dem Betrieb von Pumpspeicher- Wasserkraftwerken gestillt. Der Auspuff verlagert sich damit weit weg, aber er verschwindet keineswegs.

Der versteckte Auspuff

Der in Österreich verbrauchte Strom stammt zu 42% aus umweltfreundlicher Wasserkraft, zu 16% aus thermischen Kraftwerken und 12% aus Wind — und Sonnenenergie. Der Rest wird importiert. Hauptsächlich des Nachts, wenn Österreich schläft und wenig elektrische Energie gebraucht wird, heben die Turbinen der großen Pumpspeicherwerke lautlos Millionen Kubikmeter kühles Nass hinauf in die alpinen Stauseen. Das geschieht zunehmend mit überflüssigem Wind- und Solarstrom: ein großer Vorteil der Speicherwerke, wegen der Schwankungen im Auf-kommen dieser Energieformen. Morgens, wenn die Rasierapparate und E- Motoren zu summen beginnen, eilt das energiegeladene Nass unter hohem Druck zu Tal, bewegt die Schaufeln der Pumpturbinen und erzeugt (auch aus billigst an den Energiebörsen eingekauftem- Kohle — Öl — und Atomstrom) umweltfreundlich etikettierten Wasserkraft- Strom. Wie hoch der Anteil dieser wundersame Veredelung ist, entzog sich der bemühten Recherche des Berichterstatters. (Es gilt für alle die Unschuldsvermutung).

Markteroberung mit Hilfe der Politik

Jüngste seriöse Studien zeigen, dass ein mit Lithium — Ionen — Batterien betriebenes Elektroauto, nimmt man alle Emissionen seiner Entstehungsgeschichte bis hin zum Fahrbetrieb zusammen, erst nach einer Fahrleistung von etwa 100.000 km umweltfreundlicher dasteht als ein konventionelles Vehikel. Die Anschaffungspreise konnten bisher nur durch massive staatliche Unterstützung auf ein erschwingliches Maß abgesenkt werden. Der VW- Konzern hat sich, wie viele andere, trotz all dieser Fakten dazu entschieden, sämtliche Kräfte in die Entwicklung Batterie (Akkumulator) — getriebener Autos zu investieren. Mittlerweile sind alle namhaften Autohersteller in den Wett-lauf um das reichweitenstärkste, preiswerteste E- Fahrzeug eingestiegen. Der sagenhafte Anstieg des Börsenkurses von Tesla, einem Newcomer im E- Automobilmarkt, zeigt, dass auch die sonst sehr kritischen Investoren an den Sieg des E- Fahrzeugs glauben. Man erwartet folgende Entwicklung: Bis etwa 2025 werden die Hersteller die E-Mobilität vor allem wegen der immer strenger werdenden Emissionsnormen forcieren. In der dann folgenden Periode, bis 2035, werden E- Autos für Kunden auch finanziell interessant: Weiter verschärfte Emissionsvorschriften und CO2- Steuern werden Verbrenner teurer, die Massenproduktion, Weiterentwicklung und günstigere Betriebskosten E- Fahrzeuge preiswerter machen.

Die von — meist konservativen — Skeptikern beschworenen Hindernisse auf dem Weg zur Elektrifizierung des Individualverkehrs sind freilich gewichtig. Die garantierten Reichweiten sind bis dato nicht überzeugend, das Laden dauert stundenlang. Ladestationen sind Mangelware, die E- Netze für große Zahlen von Nutzern noch ungenügend. Schwer wiegt das Argument der teils schmutzigen Quellen des verwendeten Stroms. All diese Hindernisse lassen sich früher oder später technisch beseitigen. Durch mehr grünen Strom in der Produktion von E-Auto und Batterie wird auch der „Anfangsrucksack“ der zweifelhaften Stromquellen kleiner. Nimmt man alles zusammen, lässt sich ohne großes Risiko vorhersagen, dass das Fahren mit Strom in den nächsten Jahrzehnten einen Siegeszug antreten wird. Die Art der Speicherung der Energie im Fahrzeug ist hingegen noch umstritten: Ob der Strom aus einem mitgeführten Akku und damit indirekt aus der Steckdose kommen, oder aus der Umwandlung von Wasserstoff in elektrische Energie stammt, ist Gegenstand hitziger Debatten zwischen Technikern und Ökonomen.

Batterie oder Brennstoffzelle?

Wasserstoffautos, korrekt Brennstoffzellen- Autos, sind ebenfalls Elektrofahrzeuge. Im Gefährt ist eine Brennstoffzelle samt Wasserstofftank verbaut, die den Strom für den Antrieb während der Fahrt erzeugt. In der Brennstoffzelle wird elektrischer Strom durch langsame katalytische Verbrennung von Wasserstoff gewonnen. Er reagiert, angeregt durch einen Katalysator, in Form einer gebremsten Oxidation zu Wasser. Dabei entstehen Wärme und elektrische Energie. Letztere treibt das Fahrzeug über Elektromotoren an. Die Spaltung des Wassers durch Elektrolyse in O2 und H2 und die Umkehr dieses Prozesses hat die Phantasie jeher beflügelt: Es entsteht bei dieser Art der Energiespeicherung und — Umwandlung kein schädliches Nebenprodukt: Wasser wird wieder zu Wasser. Es scheint, als ob der Prozess in der Geschichte des Kosmos eine erstaunliche Biografie hätte. „Am Anfang war der Wasserstoff“: Erschienen 1972, schildert das eindrucksvolle Werk Hoimar v. Ditfurths den damaligen Wissens-stand über die Entstehung der Welt und die darauffolgende Evolution. Immer wieder tauchte allerdings schon lange vorher die Idee einer Wasserstoffökonomie auf: Dass am Ende der Geschichte der Energienutzung wiederum das Hydrogenium stehen würde. Schon 1874 beschrieb Jules Verne diese Vision.

Grüner Wasserstoff (H2)

Dieser wird durch Zufuhr von elektrischer Energie mittels Elektrolyse — (Zersetzung von Wasser in gasförmigen Sauerstoff und H2) gewonnen. Stammt die Energie aus Sonnen- Wasser- oder Windkraft, so entsteht ein Kreisprozess, der die Umwelt praktisch nicht belastet. Weltweit werden zahlreiche Projekte zur Förderung der Wasserstofftechnik vorangetrieben. Allein an der Nordseeküste verfolgen große Projekte das Ziel, den Mangel an Leitungen in den Osten durch die Gewinnung von Wasserstoff wettzumachen. Die österreichische Regierung initiierte 2017 die Erarbeitung einer nationalen Wasserstoffstrategie. Mit 30 Prozent der globalen industriellen CO2-Emissionen hat der auch in Österreich wichtige Eisen- und Stahlsektor einen erheblichen Anteil an den Treibhausgasemissionen. Ersatz von Koks und Erdgas durch grünen Wasserstoff als Reduktionsmittel wäre ein Weg, um schädliche Emissionen fast gänzlich zu vermeiden.

Der Stahlkonzern voestalpine ist in Zusammenarbeit mit Siemens und unter Koordination von VERBUND dabei, dieses Vorhaben im Forschungs-Projekt H2FUTURE, der derzeit weltweit größten in Betrieb befindlichen „grünen“ Wasserstoffpilotanlage in Linz, voranzutreiben. Dr. Rudolf Zauner, Leiter des Programms Green Hydrogen bei VERBUND: : „Bis 2030 könnte Österreich noch autonom grünen Wasserstoff aus regenerativen Quellen erzeugen. Danach wird es europaweite H2 — Netze und einen europäischen Markt für Wasserstoff brauchen“. Diese Meinung wird durch die Aktivitäten der „European Hydrogen Backbone Initiative“ gestützt: Man plant, bis 2030 ein 6.800 Kilometer langes Leitungssystem für Wasserstoff zu erstellen. Dabei sollen 75 Prozent des Netzes aus um-gewidmeten Erdgasleitungen bestehen. Dr. Zauner erwartet dabei eine erhebliche Kostenreduktion parallel zum zunehmendem Nutzungsgrad von Wasserstoff und einem Scale-up der Wasserstofferzeugung.

Die Rolle der Koevolution

Prophezeit man dem Wasserstoff eine derartig rosige Zukunft — warum werden dann PKW mit einer sündteuren Batterie, voll mit seltenen Grundstoffen, ausgerüstet? Die Antwort darauf ergibt sich u.a. beim Vergleich des Ge-samtwirkungsgrades. Das batteriebetriebene Auto kommt auf einen solchen von 70 bis 80 Prozent, während das Wasserstofffahrzeug bisher nur 25 bis 35 Prozent schafft (Die kolportierten Werte differieren stark). Daher warnen viele Experten aus Technik und Wirtschaft: Anstatt Milliarden für die Entwicklung von Wasserstoff — Autos auszugeben, sollten sich die Investitionen auf spezielle Anwendungen konzentrieren. „Es gibt ein großes Potenzial, wenn man H2 dort nutzt, wo er sich langfristig tatsächlich durchsetzen kann- in der Industrie, im Schwerlast- beziehungsweise Flug- und Schiffsverkehr“, so die Mehrheit der Fachleute. Experten aber neigen dazu, den Status quo zahlenmäßig kerzengerade in die Zukunft zu projizieren und die Entwicklungen anderer Vorgänge im Gesamtsystem nicht einzubeziehen. Für alle industriellen Systeme gilt jedoch, wie in der Biologie, auch das Prinzip der Koevolution. Was bedeutet das für unser Thema?

Wie Gerd Binnig, damals junger Nobelpreisträger, in seinem faszinierende Werk „Aus dem Nichts“ 1989 be-schrieb, besteht eine erfolgreiche Innovation darin, dass, erstens, etwas Neues erfunden wird, das sich, zweitens, dann auch durchsetzt und in der aktuellen Umwelt am Leben erhält. Das Neue, sei es nun der Mutant eines Lebewesens oder eine neue Technologie, wird dabei nicht vom Bestehenden sofort erdrückt (wie fast immer), sondern fügt sich nützlich ein und wird nach und nach zu einem bestimmenden Bestandteil. Es beginnt das gesamte System zu verändern. In der Evolutionstheorie wird ein solcher Vorgang Koevolution genannt. Diese Eintrittshürden, an der schon zahllose Erfindungen scheiterten sind, sind im Falle der Nutzung der Wasserstofftechnik in Fahrzeugen mannigfaltig. Zunächst einmal sind Brennstoffzellen heutzutage noch teuer. In den neuesten Auto-Modellen kosten sie fünfstellige Euro — Beträge, unter anderem deshalb, weil teure Edelmetalle wie Platin dafür nötig sind. Ein Brennstoffzellen- Auto braucht zusätzlich einen kleinen Akku als Puffer für die elektrische Energie. Wasserstofftanks sind aufwendig, schwer und kostspielig. Das Wasserstoffauto hat also noch einen sehr langen Weg vor sich, bevor es alltagstauglich wird: Was trotz der gegenteiligen Meinung vieler Experten dennoch wahrscheinlich ist. Warum? Das soll nachstehend ausgeführt werden.

Die Wasserstoffwirtschaft

Der Weg zu einer allumfassenden Wasserstoffökonomie ist chancenreich, schier unvermeidbar und wurde bereits energisch beschritten. Ist das ganze System — ausreichende Kapazitäten an regenerativer Energie, kostengünstige Elektrolysesysteme, sicherer Transport, Lagerung und Verteilung, leistungsfähige Umwandlungsverfahren — ein-mal voll entwickelt, wird es sich viele heute noch nicht angedachte Anwendungen erobern. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Durchdringung aller Lebensbereiche mit den Nutzungen der Internets und der künstlichen Intelligenz. 1985 hätte niemand angenommen, dass die ersten Ansätze zum Internet für alle und die Eröffnung des Cyberspace für Surf — Freaks nach 35 Jahren die gesamte Technik und Wirtschaft — auch den privaten Bereich und die Politik — revolutioniert haben würden. Wasserstoff wird in diesem kommenden Gesamtsystem nicht nur Lokomotiven, Lastautos und Omnibusse antreiben. Er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vor dem Fahrzeug von Otto und Ottilie Normalverbraucher Halt machen und den chemischen Akku fast vollständig ablösen.

Zusammenfassung

Eine umfangreiche Auswertung neuster Literatur führt zu folgender Erwartungshaltung:

1. Die Elektromobilität wird durch massive politisch definierte Rahmenbedingungen gestützt und würde oh-ne diese nicht zum Durchbruch gelangen.
2. In den nächsten Jahren wird sie durch den zügigen Ausbau der unterstützenden Systeme den Individual-verkehr zu beherrschen beginnen.
3. Parallel dazu schreitet die Entwicklung des Gesamtsystems „Wasserstoffwirtschaft“, ebenfalls getrieben von politischem Willen, aber auch von der realistischen Aussicht auf eine emissionsarme industrielle Zu-kunft, zügig voran.
4. Einzelne industrielle Verfahren werden bereits binnen der nächsten zehn Jahre durch den Einsatz von grünem Wasserstoff wirtschaftlich betrieben, wie z.B. die umweltfreundliche Erzeugung von Stahl.
5. Wenn die Wasserstoffwirtschaft eine kritischen Dimension erreicht hat, erobert der Wasserstoffantrieb höchstwahrscheinlich auch den Individualverkehr. Bis dahin werden lediglich Schwerlast — und Schienen-fahrzeuge, eventuell auch Flugzeuge, mit Wasserstoff betrieben.

Das scheint der realistischste Ausblick auf die nächsten zehn Jahre zu sein — wenn nicht, wie so oft, ein Schwarzer Schwan ein Ei in den Ablauf legt.

Kommentare
Gerhard Könighofer am 23.10.2021 um 09:55 Uhr:

Der grüne Wasserstoff wird für alle Zeit teurer sein als Strom, weil er mit Strom hergestellt wird, aber mit teuren Zusatzprozessen:
- Elektrolyse (Wirkungsgrad <75%),
- Komprimieren (Energieverlust je nach Zieldruck; >700Bar ca 6-7kWh/kgH2),
- Transportieren (Verlust je nach Entfernung),
- Lagern (Lagerverluste durch Diffusion),
- Brennstoffzelle (Wirkungsgrad <60%).
- Wasserstoff verbrennen (Wirkungsgrad <45%) + NOx-Ausstoss (Fahrverbote wie bei Diesel?)

Mit Strom Wasserstoff herzustellen um dann damit Strom zu erzeugen, klingt nicht sehr intelligent.

Dr. Rudolf Taschner am 21.10.2021 um 13:22 Uhr:

Lieber Herr Doktor Woltron,
Ein sehr lesenswertes Exposé; ich fürchte, zu wenige Entscheidungsträger werden hieraus die nötigen und zeitnah zu fällenden Folgerungen ziehen.
Auf zwei weitere Aspekte erlaube ich mir aufmerksam zu machen: Erstens die u.a. von Professor Gabriel Felbermayr Anfang Februar 2020 in der WELT vorgeschlagene Gewinnung von Wasserstoff in den "sonnenverwöhnten" Regionen des Nahen Ostens und der afrikanischen Wüste (es gäbe auch andere ähnlich dafür geeignete Gebiete) aus Sonnenenergie (photovoltaisch, thermisch u.U. mithilfe von Katalysatoren). Zweitens die Ausdehnung der Wasserstoffwirtschaft auf die Derivate des Wasserstoffs, seien es Ammoniak, Methan, Methanol und andere, die sich sehr sinnvoll als Energieträger nutzen lassen.
Mit den besten Wünschen und Grüßen
Ihr Rudolf Taschner